Es ist die Stunde der Kirche. Wir brauchen jetzt Gottesmänner, die Glauben, Hoffnung und Liebe vorleben und dazu anleiten, den reichen Schatz der geistlichen Mittel anzuwenden, vor allem die Sakramente.
Ein Stock namens Corona wurde in das sich rasend drehende Rad der weltlichen Hyper-Aktivität gesteckt und bringt das öffentliche Leben zum Erliegen: Verkehr, Wirtschaft, Sport, Schulen, Universitäten, Kindertagesstätten, öffentliche Veranstaltungen, ja sogar die Gottesdienste sind nun vom Staat verboten. Die Grenzen der Open Society werden geschlossen, in einem Land nach dem anderen wird die Bevölkerung in Hausarrest geschickt. Die ungeheuerlichen Eingriffe der Regierung in das Leben der Bürger werden widerstandslos akzeptiert, ja mehr noch, je strenger die Maßnahmen, umso verant-wortungsvoller scheint sich eine Regierung zu verhalten. In Shanghai funktioniert das öffentliche Leben nur noch mit Barcode, den jeder Bürger am Handgelenk tragen muss. Er kann jederzeit gescannt werden und bekommt Anweisungen, wie und wo er sich bewegen darf, ob zur Arbeit oder in die Quarantäne. In Deutschland stellt jetzt die Telekom dem Robert-Koch-Institut Bewegungsdaten von Handy-Nutzern zur Verfügung.
Noch tun wir alles, was man uns sagt, bleiben zu Hause, waschen bei jeder Berührung mit dem potentiellen, unsichtbaren Feind die Hände und kommunizieren nun fast nur noch virtuell, also fleisch- und körperlos – ein Weg, auf dem wir ohnehin schon waren. Wie lange wird die Zwangspause dauern? Niemand weiß es. Man weiß nicht einmal, ob das Immunsystem resistent wird, wenn es einmal die Attacke des Virus überstanden hat.
Das Nahziel ist, den Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern – dafür wird der wahrscheinliche Kollaps der globalisierten Wirtschaft in Kauf genommen. Eine gespannte, Angst geschwängerte Aufmerksamkeit liegt in der stillen Luft. Jeder spürt: Das globale Haus ist auf Sand gebaut. Wird es standhalten, wenn der Sturm kommt? Die globalen Wirtschaftsketten erlauben keinen Stillstand. Stillstand bedeutet Crash, Crash bedeutet Verlust des Arbeitsplatzes, Verlust der Wohnung, Mangel an Lebensnotwendigem.
Jetzt zaubern die Regierungen Milliarden aus dem Hut, um den Crash zu verhindern, oder nur aufzuschieben? Wird Frau von der Leyen noch tausend Milliarden für den grünen Deal in der Europäischen Union locker machen können? Klimaerwärmung interessiert plötzlich niemanden. Am 18. März sagte ein EU-Beamter in der Tagesschau: Klimaerwärmung ist kein Thema mehr. Es geht nur noch um „den wirtschaftlichen Wiederaufbau“. Werden die EU-Länder, insbesondere Deutschland, weiterhin Millionen von Migranten aufnehmen können und wollen, wenn die eigene Existenz bedroht ist? Selbst Grünen und Linken dürfte das Hemd dann näher als die Hose sein.
Die ganze Welt befindet sich in einem Zustand wie einer, der gerade eine Krebsdiagnose bekommen hat. Die Karten sind neu gemischt. Eine dieser Karten ist schwarz, und darauf grinst der Sense-mann. Alles ist ungewiss. Ja, wir wussten, dass wir sterben müssen, irgendwann einmal, am besten dann, wenn wir selbst entschieden haben, dass der Exit jetzt dran ist. Das Bundesverfassungsgericht hat für den neuen Geschäftszweig Hilfe zur Selbsttötung am Aschermittwoch 2020 alle juristischen Steine aus dem Weg geräumt. Aber sterben müssen, wenn wir es nicht entschieden haben? Das ist für die meisten, die in den leeren Himmel schauen, ein Blick in den Abgrund. Was tut einer, der eine Krebsdiagnose bekommen hat? Als krankenversicherter Mensch bekommt er zunächst einmal Zeit. Raus aus dem Berufsstress! Tiefergehende Fragen tun sich auf: Wie habe ich gelebt? Wie steht es um meine Beziehungen, die auf Liebe angelegt sind, in denen aber keine Liebe fließt … zu meinen Nächsten, zu Gott? Was, wenn ich wirklich sterben muss? Was kommt danach?
Ein ähnlicher Anstoß zur Besinnung für die ganze Welt ist nun der globale Versuch der Regierungen, durch den Lock down den Triumphzug des Coronavirus einzudämmen. Zunächst verschafft er uns Zeit, bedrohte Zeit, denn unsere Vorsorge reicht nur eine naselang.
Eine Schonzeit für die Familie ist ausgebrochen. Kleine Kinder sind plötzlich da, wo sie hingehören, bei ihren Müttern. Väter sind zu Hause. Ehepaare haben Zeit, miteinander zu sprechen. Man findet sich am Familientisch zusammen, es gibt sogar Frühstück für die Kinder. Mit einem Schlag wird von der gesamten Familien-Bevölkerung Homeschooling praktiziert. Statt Giffeysche Ganztagsschule, Ganztags-Familie – einfach so, über Nacht! Aber wissen Eltern überhaupt noch, was sie mit ihren Kindern zu Hause anfangen sollen, wenn sogar das Betreten der Spielplätze verboten ist? Man hat ihnen zehn Jahre lang eingeredet, kleine Kinder bräuchten Bildung, und das könnten nur ausgebildete Fremdbetreuerinnen leisten, nicht die Eltern, die eine Liebesbindung an ihre Kinder haben. Vermutlich wird in vielen Familien die Kita nun durch den Bildschirm ersetzt. Aber es ist auch eine Riesenchance, als Familie neu zusammenzufinden.
Wenn plötzlich die schwarze Karte in unserer Hand liegt, gehen die Fragen unwillkürlich über den Rand des Sichtbaren hinaus. Das Gewissen wird wach. Die Frage nach Gott, die unter die Räder des Wohlstands gekommen ist, kann nicht mehr so leicht ignoriert werden. Es entsteht ein inneres Drängen, Beziehungen in Ordnung zu bringen, auch und insbesondere die Beziehung zu Gott, nicht nur als Einzelner, sondern als ganze Gesellschaft. Die Bibel erzählt uns den immer sich wiederholenden Kreislauf: Der Ruf Gottes, das freudige Ja des Volkes, Aufblühen des Gemeinwesens, Siege über die Feinde, Wohlstand, Versuchung, Abfall, Katastrophe, Zerstreuung und wieder der prophetische Ruf, Bekehrung, Aufblühen, Siege, Wohlstand, Abfall… Man lese das große Bußgebet von Nehemia (9,26-29).
Von Generation zu Generation, von Kultur zu Kultur wiederholt sich dieser Kreislauf. In unserem historischen Augenblick befinden wir uns in der Phase des Abfalls und staunen nun, dass wir plötzlich, vollständig unerwartet, von einem Feind überfallen wurden. Der Feind ist ein Virus. Corona verschafft uns eine Besinnungspause. Das weltgeschichtlich Neue an unserer Situation ist, dass die Wirtschaft globalisiert ist, Corona global ist und die Besinnungspause auch. Es gibt keinen Notausgang, es gibt keine Neue Welt, in die wir aufbrechen könnten. Doch es gibt die Möglichkeit, die Beziehung zu Gott wiederaufzunehmen, um unter seiner Führung die Wüste der gegenwärtigen Krise zu durchqueren.
Es ist die Stunde der Kirche. Was wir jetzt brauchen, sind Gottesmänner, heilige Priester, Ordensleute und Laien, die uns Glauben, Hoffnung und Liebe vorleben und uns anleiten, den reichen Schatz der geistlichen Mittel, die wir als Katholiken haben, anzuwenden: Die Sakramente der Eucharistie und Beichte, die Krankensalbung, das Wort Gottes, Weihwasser und Weihrauch, die Anrufung der Muttergottes und des heiligen Josef, das Rosenkranz-gebet, den Kreuzweg, die Fülle der verheißungsvollen Gebete, die Verbindung mit den Engeln, dem Schutzengel, den Heiligen, Märtyrern und Armen Seelen, die Verehrung der Reliquien der Heiligen, die es in jeder Kirche gibt, die Zeugnisse der Heiligen, die den heroischen Tugendgrad gelebt haben… Aber die Kirche hat durch ihre Anbiederung an den Zeitgeist und die schweren Sünden von Priestern und Bischöfen ihre Autorität und Vollmacht eingebüßt. Nur durch Buße kann die Vollmacht zurückgewonnen werden.
Seit Jahrzehnten wird uns ein weich gespültes Evangelium verkündet, das immer weniger Gläubige hinter dem Ofen des Wohlstandes hervorlockt. Katechese über die heißen Themen der Zeit, über den Plan Gottes für Mann und Frau, Sexualität, Familie, die Heiligkeit des Lebens von der Zeugung bis zum Tod – Fehlanzeige. Das Schuldbekenntnis in der heiligen Messe – gestrichen. Es gibt nur noch den barmherzigen Gott, nicht mehr den gerechten. Merkt ihr, die ihr Wasser in den Wein des Evangeliums schüttet, eigentlich nicht, dass Eure Worte ihre Resonanz in den Herzen der Gläubigen verlieren? Wen meint der Herr mit seinen überaus scharfen Worten gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer (Mt 23,1-39)?
Ist der Synodale Weg nicht überflüssig wie ein zweiter Kropf? Streicht ihn!
Bekennt, dass es ein Irrweg war, diese manipulative Organisation des Abfalls vom katholischen Glauben. Wenn „die Frauenfrage“ die wichtigste Herausforderung für einen Bischof ist, dann hat er Menschen in Not nichts zu sagen. Umkehr ist das Gebot der Stunde! Einem Bischof, der bekennt, dass er nicht den Mut hatte, sich dem Zeitgeist entgegenzustellen und mit Jesus das Leiden auf sich zu nehmen, das dann unausweichlich über ihn käme, würden Dankbarkeit und Ehrerbietung entgegenbranden, er würde zum Anführer einer echten Erneuerungsbewegung.
Täglich bekommen wir in den Tageslesungen der Fastenzeit klare Anleitung zur Umkehr. Hildegard von Bingen spricht von der „welterneuernden Kraft von Reue und Umkehr“.
Vielleicht werden jetzt sogar die Medien in ihrem Kampf gegen das Christentum ein wenig kleinlauter. Vermutlich haben die „Reformatoren“ der Kirche, die statt Umkehr Anpassung predigen, gedacht, es würde immer so weiter gehen mit der systematischen Auflösung der göttlichen Ordnung: Der millionenfachen Tötung ungeborener Kinder, der Rebellion gegen die Identität von Mann und Frau, der Zerschlagung der Familie, der moralischen Entfesselung der Sexualität, der juristischen Legitimierung der Homo-„Ehe“, der kollektiven Vernachlässigung der Kinder und Jugendlichen, der „Verbesserung“ des Menschen durch Transhumanismus. Der Widerstand der Kirche in all diesen Fragen war schwach, und die Gläubigen bekamen keine Orientierung von ihren Hirten, um den gewaltigen Manipulationen des Massenbewusstseins widerstehen zu können. Die Kirche müsse auf den Zug des Zeitgeistes aufspringen, damit sie die Menschen nicht verliere, so das Kalkül. Dass die Schafe in Massen davonlaufen, hat nicht zu Besinnung geführt, weil die Kasse noch stimmt.
Aber Corona hat den Zug nun für unbestimmte Zeit angehalten. Es ist ein Vorspiel, eine Ouvertüre. Glaubt jemand, dass wir danach – wann ist danach? – zu business as usual zurückkehren werden? Welch ein Menetekel, dass das Herz der Kirche, der Petersdom, verschlossen wurde. Die Bischöfe waren die ersten, die in vorauseilendem Gehorsam die Gottesdienste ersatzlos gestrichen haben. Warum nicht vernünftige Vorsichtmaßnahmen ergreifen, die Dichte der Gottesdienstbesucher reduzieren, (wie es Bischof Oster und die polnischen Bischöfe getan haben), die Risikogruppen bitten, fernzubleiben, aber die Menschen unter sechzig Jahren gerade jetzt zum Empfang des Sakraments der Beichte und Eucharistie aufzurufen? Man stelle sich vor, der Papst wäre nicht allein, sondern mit einer unendlich langen Schlange von Menschen in gehörigem Abstand zueinander zu den sieben Kirchen in Rom gepilgert, so wie damals der heilige Philipp Neri. Nun hat die Kirche keine Wahl mehr: Am 16. März 2020 hat die deutsche Regierung „alle Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und anderen Glaubensgemeinschaften“ verboten.
Müssten wir jetzt nicht den Himmel anflehen? Aber wir sind noch nicht so weit, wir sind noch nicht auf den Knien. Wir glauben, wir hätten alles noch im Griff, wenn wir jeden menschlichen Kontakt vermeiden. Um was sollen wir flehen? Dass Corona verschwindet und alles beim Alten bleibt? Wäre es nicht vielmehr nötig, um Bekehrung zu flehen, dass uns die Binde von den Augen genommen wird und wir erkennen und bekennen, wo wir uns als Person und als Gesellschaft gegen Gott und seine Schöpfung aufgelehnt haben?
Halten wir uns nicht damit auf, ob Corona eine Strafe Gottes ist. Wenn es Gott gibt und dieser Gott sein Geschöpf liebt, dann kann er nicht auf Dauer zulassen, dass wir die zehn Gebote mit Füßen treten und den Menschen selbst zerstören. Er hat uns die zehn Gebote gegeben, damit wir das Leben wählen und nicht den Tod (Dtn 30,19). Corona ist in der Fastenzeit ausgebrochen. In den Lesungen und Evangelien werden wir jeden Tag neu zur Umkehr aufgerufen. Gott warnt vor den Folgen, wenn der Ruf zur Umkehr nicht gehört wird. Hören wir den Ruf?
Umkehr bedeutet, dass der Mensch heruntersteigt vom Thron Gottes, auf den er sich gesetzt hat; dass er sich wieder als Geschöpf erkennt und seinen Schöpfer anbetet, dass er nach dem Willen Gottes fragt. Die ungeheuerlichen Anmaßungen, den Anfang und das Ende des Lebens selbst zu bestimmen, das eigene Geschlecht wählen zu wollen, das ungewollte Kind zu töten oder das gewünschte zu produzieren, den Menschen mit Tier oder Maschine zu kreuzen, werden im Licht der Not als Frevel erkennbar werden. Wir sind nicht die Herren über Leben und Tod. Wir sind nicht einmal die Herren über einen kleinen Virus.
Man stelle sich vor, Politiker, die äußerst schwere Entscheidungen zu fällen haben, kämen zum Gebet zusammen, um Weisheit zu erbitten. Wie erleichtert wären wir, die wir uns alle ohnmächtig fühlen. Gewiss wird das Wüten des Virus eingedämmt durch die radikalen Isolationsmaßnahmen. Aber es könnte sein, dass das Elend eines globalen wirtschaftlichen Zusammenbruchs weit größer sein wird als der mögliche Zusammenbruch des Gesundheitssystems.
Wir bedürfen des Heiligen Geistes, um in unserem so begrenzten Horizont richtige Entscheidungen treffen zu können. Der sich für autonom haltende, von Gott abgefallene Mensch hat die Demut verloren. Wir werden sie wieder lernen müssen. Schon jetzt blitzen Lichter der Hoffnung und des Segens auf. Wir spüren, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Der Umgangston ist herzlicher geworden, wir sind alle vom Hohen Ross des „Yes I can“ he-runtergestiegen. Priester riskieren ihr Leben, um Kranken beizustehen.
In Bergamo sind in einer Woche sechs Priester gestorben. Ärzte und Pflegepersonal vollbringen heroische Taten. Menschen singen sich von Balkon zu Balkon menschliche Nähe zu. Wir brauchen einander.
Tausend Lichter von gläubigen Hirten, Priestern und Laien flammen auf im Internet. Wir die Gläubigen, die nach gesalzener Nahrung suchen, können sie finden. Am Tag des heiligen Josef ruft der Papst zum weltweiten Gebet des lichtreichen Rosenkranzes auf, und Bischof Rudolf Voderholzer lässt in seiner ganzen Diözese die Glocken läuten. Wir verbinden uns virtuell im Gebet und in der heiligen Messe und emp-fangen die geistige Kommunion. Wir sind nicht von Gott verlassen. Als Getaufte bewohnt Jesus Christus unser Herz und will von uns dort gefunden werden, denn: „Wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß“ (Röm 5,20).
Der Artikel ist am 4. März 2020 in FIRST THINGS erschienen.
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